Gefühle im Wochenbett

Die Liebe zu deinem Kind wird alles andere übertreffen.”,  “Nichts ist so wichtig wie das Wohlbefinden des eigenen Kindes”, “Wenn das Kind auf der Welt ist, wirst du alle Leiden vergessen und du wirst denken, dass es sich gelohnt hat.”, so oder ähnlich wird die Niederkunft eines Kindes im allgemeinen oft romantisiert, während die Wirklichkeit des Wochenbetts verschwiegen wird. Das Idealbild der selbstlosen, liebenden und fürsorglichen Mutter hindert vor offenem Diskurs über negative Gefühle und Gedanken während des Wochenbetts. Für viele Frauen ist das Wochenbett jedoch nicht das Schönste auf Erden, sondern eine tiefgehende körperliche und seelische Erschütterung. 

Gefühle der Niedergeschlagenheit sind im Wochenbett keine Seltenheit: Etwa drei Viertel aller Wöchnerinnen erleben eine vorübergehende Phase von Niedergeschlagenheit oder Traurigkeit, die meist drei bis sechs Tage nach der Entbindung einsetzt. Sogenannte “Heultage”, oder “Baby-Blues”. 

Auf der körperlichen Ebene werden vor allem die enormen hormonellen Umstellungen, die nach der Geburt und mit dem Einsetzen der Milchbildung stattfinden, für das Stimmungstief verantwortlich gemacht. Die Wöchnerin erlebt eine ausgeprägte Emotionalität und eine erhöhte Sensibilität. Eigene Gefühle und äussere Reize werden intensiver wahrgenommen. Beispielsweise können Wöchnerinnen besonders gut riechen und somit ihr Kind an seinem Duft erkennen.  

Doch nicht nur die hormonelle Umstellung ist enorm. Hand in Hand mit der Geburt des Kindes geht auch die Geburt der Mutter einher und damit die Umstellung ihres ganzen bisherigen Lebens. Dies kann überwältigend, oder gar beängstigend sein. Die Mutter befindet sich in einer ihr bisher unbekannten Situation, und sieht sich mit intensiven Gefühlen konfrontiert, die durch die erhöhte Sensibilität aufgrund der Hormonumstellung noch verstärkt werden. 

Zum einen erleben viele Wöchnerinnen Trauer. Trauer um den Verlust des Lebens vor dem Kind und um die verlorengegangene Unabhängigkeit von Körper und Geist. Trauer um die eigene Freiheit. Die Beziehung zu ihrem Selbst und zu ihrer Umwelt wird auf den Kopf gestellt. Eine neue Definition zum Selbst wird hergestellt: Ich bin jetzt Mutter. Eine neue Definition zum Partner: Wir sind jetzt Eltern. Freunde, welche ihren Interessen unverändert nachgehen können, während die Mutter mit entzündeten Brustwarzen und dem hungrigen Baby ringt. Ein Abschied, der erst verarbeitet werden muss, bevor sich die Mutter auf einen Neuanfang einlassen kann. 

Die Wöchnerin ist erschöpft. Sie hat den anstrengenden Akt der Geburt hinter sich gebracht. Ihr Körper, noch unter den Geburtsverletzungen leidend, muss sich jetzt auf den nicht-schwangeren Umstand einstellen. Gleichzeitig muss sie bereit sein rund um die Uhr ein Neugeborenes zu versorgen und möglicherweise zu stillen. Sie ist müde, kann aber nur dann schlafen, wenn das Baby schläft. Ihre Vagina schmerzt, sie hat Blutungen, und fürchtet sich möglicherweise vor dem ersten Urinieren oder Stuhlgang seit der Geburt. So oft wie möglich soll das Baby gestillt werden, um die Milchproduktion anzuregen. Danach Windeln wechseln und schlafen. Anstelle des Tages- und Nachtrhythmus tritt nun der Zweistundentakt ein. Der Alltag ist vom Baby bestimmt und die Mutter muss sich mit ihrem ganzen Körper und Geist um ihr Kind kümmern. Eine enorme Anstrengung. 

Und dann, auf dem Höhepunkt dieser sensiblen Zeit, werden Wöchnerinnen aus der Klinik entlassen. Viele Mütter im Westen Europas sind ab diesem Zeitpunkt mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Die Kernfamilie ist ein Familienmodell, das den meisten Mütter in dieser anstrengenden Zeit nur ungenügend Unterstützung bietet. Die Unterstützung der Grosseltern in dieser Zeit ist im Westen Europas nicht mehr so üblich wie zum Beispiel in Japan, wo die Mutter für die Geburt eines Kindes in ihr eigenes Elternhaus zurückkehrt und die darauffolgenden drei Monate dort verbringt und umsorgt wir. In Japan bezeichnet man das Heimkehren in das eigene Elternhaus für die Geburt des Kindes als Satogaerishussan. Essen kochen, putzen, Wäsche waschen, das Baby baden und wickeln, all das wird der Mutter von ihren Eltern abgenommen, damit sie sich von den Strapazen der Geburt erholen kann. Nach drei Monaten kehrt die Mutter zusammen mit ihrem Kind zu ihrem Partner zurück.

Das Wochenbett ist ein essentieller körperlicher und emotionaler Heilprozess. Gerade weil die emotionalen und körperlichen Schutzwälle der Mutter fallen, ist eine sichere und verständnisvolle Umgebung von enormer Bedeutung. Die Mutter darf sich nach der Geburt aus dem sozialen Leben erst einmal zurückziehen und sich Zeit dafür nehmen, um in ihrem neuen Leben anzukommen, um zu heilen, und um das Baby kennenzulernen, ohne sich bei irgendjemandem rechtfertigen zu müssen. Sie darf sich aber auch tatkräftige und moralische Unterstützung von Partner, Familie oder Freunde einholen. Die Mutter und ihre Bedürfnisse stehen jetzt an erster Stelle. Sie darf sich vor Dingen schützen, die ihr zu weit gehen, zu viel sind oder sie zu tief treffen, und sie darf Grenzen setzen. 

Das Wochenbett ist mit Gefühlen der Freude und Liebe verbunden. Aber eben nicht nur, und auch nicht unbedingt überwiegend. Die Mehrzahl der Wöchnerinnen erfahren eine vorübergehendes Stimmungstief nach der Geburt. Die Mutter darf das falsche Klischee der glücklichen Wöchnerin also getrost hinter sich lassen und auch einfach mal weinen.

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Sollte das Stimmungstief länger als zwei Wochen ohne Aussicht auf Besserung andauern, besteht der Verdacht auf eine Wochenbettdepression. Du solltest dann so bald wie möglich mit deiner Hebamme, Mütterberaterin oder deinem Frauenarzt, deiner Frauenärztin sprechen oder professionelle psychologische Betreuung in Anspruch nehmen. Du musst da nicht alleine durch.