Wutanfall beim Kleinkind
Ein bis zwei Jahre lang hattest du Zeit dein Kind kennenzulernen. Du hast dich als Mama eingelebt und kennst alle Tipps und Tricks und wie du den Alltag mit deinem Kind reibungslos über die Bühne bringst. Um den 18. Lebensmonat stellst du dann plötzlich einen Wandel bei deinem Kind fest. Dein genügsames, anhängliches, bezauberndes Kind läuft in den unmöglichsten Situationen aus dem scheinbar nichtigsten Anlass rot an, wirft sich auf den Boden, schreit und zappelt wild. Von den umstehenden Personen erntest du missbilligende Blicke. Du willst dein Kind hochheben und aus dieser Situation wegtragen, da schlägt dein Kind auf dich ein.
Du bist verunsichert, wie du mit diesen Ausbrüchen umgehen sollst. Wenn ein Kind wütend ist, schreit, haut, kratzt oder beisst, läuten schnell die Alarmglocken. In den Äusserungen von Personen in deinem Umfeld schwingt oft der versteckte Vorwurf an dich als Mutter mit, du hättest dein Kind nicht unter Kontrolle oder hättest es schlecht erzogen. Und du fragst dich, ob dein Kind vielleicht ein Problem mit Aggression hat.
Im folgenden Artikel erfährst du, warum dein Kind Wutanfälle hat, wie du sie verringern und wie du auf sie reagieren kannst.
Wutanfälle beim Kleinkind sind ganz natürlich.
Kleinkinder können ihre Emotionen noch nicht so regulieren wie Erwachsene und reagieren deshalb unbewusst und intuitiv auf Frustrationen. Durch einen Wutanfall verarbeitet dein Kind seine Emotionen. Wutanfälle bei Kleinkindern sind deshalb etwas vollkommen natürliches und entsprechen der Entwicklung deines Kindes. Kleinkinder müssen erst noch lernen Emotionen selbst zu regulieren und brauchen deshalb Begleitung von einer Bezugsperson. Es ist deshalb wichtig, das Kind nicht für seinen Wutanfall oder Aggression zu verurteilen, sondern ruhig zu bleiben und Verständnis zu zeigen. Meist werden Wutanfälle dadurch ausgelöst, dass körperliche oder emotionale Grenzen des Kindes verletzt wurden.Wissen über die psychologischen Grundbedürfnisse und die Gehirnentwicklung beim Kleinkind, kann uns dabei helfen unser Kind besser verstehen und einfühlsamer auf seine Bedürfnisse und Emotionen eingehen zu können.
Mit dem Streben nach Autonomie lösen sich Kleinkinder Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit von den Eltern.
In den ersten Lebensjahren sind Kinder in ihren Gefühlen, ihrer Wahrnehmung und ihrem Denken in einem hohen Mass selbstbezogen. Piaget spricht von einem Alter des Egozentrismus. Das Kind erlebt sich als Mittelpunkt, aber auch als Teil dieser Welt. Mit rund 18 Monaten macht dein Kind einen bedeutenden Entwicklungsschritt: Es kommt zur Selbstwahrnehmung. Das Kind erkennt sich im Spiegel und und wird sich seiner selbst bewusst. Dieses Selbstverständnis geht mit einer Abgrenzung gegen andere Personen einher, die das Kind oft durch ein lautstarkes “Nein!” kundtut. Mit dem Streben nach Autonomie lösensich Kleinkinder Schritt für Schritt aus der Abhängigkeit von den Eltern. Dies ist Teil ihrer natürlichen Entwicklung. Dazu gehören Wutanfälle, so anstrengend sie auch sind, dazu.
Das Gehirn eines Kleinkindes ist noch nicht ausgereift.
Doch warum haben Kleinkinder Wutanfälle, während Erwachsene (meist) in der Lage sind, ihre Emotionen zu regulieren?
Wenn wir die Gehirnentwicklung eines Kindes mit 2 Jahren betrachten, so werden wir feststellen, dass ein Kleinkind noch gar nicht in der Lage sein kann, seine Emotionen so wie Erwachsene zu regulieren. Der Präfrontale Kortex ist der Teil des Gehirns, der zuständig für die Impulskontrolle und die Regulation von Emotionen ist. Er wird durch Erfahrungen moduliert und ist erst im Alter von ungefähr 25 Jahren ausgereift. Der Teil des Gehirns, der für die Impulskontrolle und Emotionsregulation zuständig ist, ist also mit zwei Jahren noch nicht ausgereift, weshalb Kleinkinder oft weniger rational und stattdessen unbewusst und intuitiv reagieren.
Sie wollen weder verletzen noch provozieren. Sie können ganz einfach nicht anders, als ungefiltert und emotional zu verhalten. Zudem verfügen sie noch nicht über die sprachlichen Fähigkeiten, um die starken Emotionen, die sie in diesem Moment erfahren, durch Worte ausdrücken zu können. Und so leben sie die Emotionen ungefiltert aus und machen ihrem Unmut in einem Wutanfall Luft. Dieses “Luft machen” kann manchmal ganz schön heftige Verhalten hervorrufen. Schlagen, treten, schreien und beissen sind deshalb alles altersadäquate, und der Entwicklung deines Kindes entsprechende Verhaltensweisen.
Zu den psychologischen Grundbedürfnissen nach Ryan & Deci gehören Kompetenz, Autonomie und Bindung.
Manchmal scheint es so, als würde das Kind aus dem Nichts explodieren und für uns Eltern kann es schwierig sein für den emotionalen Ausbruch Verständnis zu zeigen, weil wir den Grund für den Wutanfall nicht verstehen oder weil wir die Heftigkeit der Reaktion des Kindes als unangemessen betrachten. Jedoch gibt es für Wutanfälle beim Kleinkind immer einen Grund und die Heftigkeit des Ausbruches entspricht der emotionalen Befindlichkeit des Kindes. Die körperlichen oder emotionalen Grenzen deines Kindes wurden in irgendeiner Weise verletzt und das ist für das Kind in diesem Moment offenbar schwerwiegend, sonst würde es nicht so heftig reagieren.
Um zu verstehen, wo die Grenzen unserer Kinder liegen, kann es helfen die psychologischen Grundbedürfnisse nach Ryan & Deci anzuschauen: Kompetenz, Autonomie und Bindung. Unter Kompetenz wird das Gefühl verstanden, effektiv wirken zu können, um gewünschte Resultate zu erzielen. Autonomie beschreibt das Gefühl der Freiwilligkeit eines Verhaltens und selbstbestimmter Interaktion mit der Umwelt, und Bindung steht fuer das Bedürfnis, sich als liebesfähig und liebenswert zu erleben. Wenn eines dieser drei Grundbedürfnisse verletzt wird, ist das Kind frustriert, was zu heftigen Emotionen führen kann. Hier je ein Beispiel für die Verletzung von je einem Grundbedürfnis:
Kompetenz:
Das Kind möchte sich selbst die Schuhe anziehen und wird wütend, wenn man ihm dabei hilft.
Autonomie:
Die Mutter zieht dem Kind gegen seinen Willen das T-Shirt über den Kopf.
Bindung:
Das Kind soll in der Nacht alleine in seinem Bett schlafen und wird nicht getröstet, wenn es weint weil es sich einsam fühlt.
Nur wenn die Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und Bindung ausreichend und der Entwicklung entsprechend befriedigt sind, kann sich das Kind aktiv mit seiner Umwelt auseinandersetzen und die alterstypischen Entwicklungsaufgaben gut bewältigen.
Wir müssen die Grenzen unserer Kinder respektieren und lernen, dass Aggression ein wichtiges Warnsignal ist.
Säuglinge und Kleinkinder sind ganz auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse durch ihre soziale Umwelt angewiesen. Wenn wir die persönlichen Grenzen unserer Kinder nicht respektieren, werden auch sie ihre eigenen Grenzen, sowie die Grenzen Anderer nicht respektieren. Ausserdem schadet es ihrem Selbstwertgefühl wenn wir ihre Grenzen ignorieren und sie nicht ernst nehmen.
Wenn die emotionale oder körperliche Grenze deines Kindes verletzt wurde und dein Kind daraufhin frustriert ist und emotional oder aggressiv reagiert, ist es deshalb wichtig einfühlsam auf das Kind einzugehen und es nicht etwa zu ignorieren, zu beschämen oder als böse hinzustellen.
Die meisten von uns haben gelernt, dass Aggression oder Wut etwas schlechtes ist. In unserer Gesellschaft herrscht ein Aggressionstabu. In Wahrheit ist Aggression aber ein wichtiges Warnsignal, das uns aufzeigt, was uns wichtig ist und wo unsere Grenzen liegen.
Was kann ich tun, um Wutanfälle bei meinem Kind zu verringern?
Der Grund für Wutanfälle beim Kleinkind liegt in der Verletzung einer emotionalen oder körperlichen Grenze. Versuche deshalb stets die emotionalen und körperlichen Grenzen deines Kindes zu respektieren. Denke dabei an die drei psychologischen Grundbedürfnisse nach Ryan & Deci, Bindung, Kompetenz und Autonomie. Hier einige Beispiele:
- Kommuniziere mit deinem Kind auf Augenhöhe und sei emotional und zeitlich verfügbar. (Bindung)
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Gib deinem Kind Wahlmöglichkeiten. (Autonomie)
“Möchtest du die gestreifte oder die karierte Hose anziehen?”
- Verbiete deinem Kind nicht alles und bestärke es in seinem kooperativen Verhalten. (Autonomie)
- Lasse deinem Kind den Freiraum, selbst die Welt zu entdecken und Fehler zu machen. (Kompetenz)
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Bereite dein Kind auf die nächste Situation vor. (Autonomie)
“Wir gehen jetzt zur Tür rein und ziehen dann die Schuhe aus.”, oder: “Ich möchte in 15 Minuten nach Hause gehen, mir ist kalt” - Besonders jungen Kindern fällt es schwer mit Änderungen im gewohnten Ablauf umzugehen. Ein fester Tagesablauf vermittelt Sicherheit und Orientierung im Alltag. (Autonomie)
- Kommuniziere deine Gefühle und die Gefühle deines Kindes, wenn es dazu selbst noch nicht fähig ist. (Bindung)
- Jeder Mensch macht Fehler, auch Eltern. Entschuldige dich bei deinem Kind, wenn du einen Fehler gemacht oder falsch reagiert hast. (Bindung)
- Vertraue in die Fähigkeiten deines Kindes. (Kompetenz)
Wie reagiere ich bei Wutanfällen bei meinem Kleinkind?
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Bleibe ruhig, atme tief durch.
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Wenn dein Kind in einer Situation ist, in der es sich selbst oder andere gefährdet, entferne es aus dieser Situation und bringe es an einen ruhigen Ort.
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Stelle Kontakt zu deinem Kind mittels nonverbaler Kommunikation her (z.B. In den Arm nehmen und streicheln). Wenn Körperkontakt nicht möglich ist, weil es z.B. sich nicht anfassen lassen möchte, mache mitfühlende Geräusche. Vermittle deinem Kind die Botschaft: Du bist nicht allein, ich fühle mit dir mit!
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Welche Emotion(en) erfährt es gerade? Warum? Benenne diese Gefühle.
“Du bist wütend weil ich dir das Schokoladeneis weggenommen habe.” -
Wenn das Kind sich beruhigt hat: Biete einen Kompromiss an oder schlage einen anderen Ausweg vor.
Dazu ein Beispiel:
Vor dem zu Bett gehen öffnet mein zweijähriges Kind das Gefrierfach und findet ein Schokoladeneis. Ich möchte ihm dieses Schokoladeneis aber nicht geben, weil die Zähne schon geputzt sind, es ungesund ist, und ich nicht will, dass das Kind vor dem zu Bett gehen Schokolade isst. So nehme ich ihm das Schokoladeneis aus der Hand und versorge es wieder im Gefrierfach. Das Kind ist wutentbrannt, schreit, weint und schlägt mich. Der Wunsch, das Schokoladeneis essen zu dürfen, mag mir banal erscheinen, aber für mein Kind ist es in diesem Moment dringend und wichtig, sonst würde es nicht so emotional reagieren. Ich habe eine wichtige Grenze meines Kindes überschritten und sein Bedürfnis nach Autonomie verletzt, in dem ich ihm das Schokoladeneis weggenommen habe.
- Ich atme tief durch und wappne mich für den Wutausbruch und dafür das Kind durch diese Emotionen zu begleiten.
- Ich bringe das Kind aus der Küche, wo es sich verletzen könnte und setze mich mit dem Kind auf das Sofa oder auf den Wohnzimmerteppich.
- Ich bin an seiner Seite, streichle es und versuche es zu trösten.
- Ich benenne seine Emotionen: “Du bist wütend weil ich dir das Schokoladeneis weggenommen habe.”
- Ich biete einen Kompromiss an: “Du darfst morgen das Schokoladeneis essen.”
Wenn ich in dieser Situation versuchen würde, Einsicht mit Erklärungen beim Kind zu wecken, dass z.B. die Zähne schon geputzt sind, und dass ich deshalb nicht möchte, dass es jetzt ein Eis isst, oder dass es mir weh tut wenn das Kind mich schlägt, dann werden meine Bemühungen wenig fruchten. Denn um diese Einsicht und dieses Verständnis zu erlangen, ist ganz einfach die Hirnstruktur des Kindes noch nicht ausgereift genug und die Entwicklung des Kindes ist noch nicht auf diesem Stand. Durch nonverbale Kommunikation hingegen, wie in den Arm nehmen, wird das Stress hemmende Hormon Oxytocin ausgeschüttet und das Kind beruhigt sich. Es ist dann eher bereit auf einen Kompromiss einzugehen.
Eltern sind Vorbilder.
Die Erfahrungen, die ein Kind in den ersten Lebensjahren macht, spielen eine wesentliche Rolle, wie das Kind zukünftig mit seinen eigenen Emotionen und mit denen anderer Menschen umgehen wird und hängt ganz wesentlich von seinen Vorbildern ab. Wenn Eltern einfühlsam mit dem Kind umgehen und die Gefühle und Grenzen des Kindes respektieren, wird das Kind mit anderen Menschen ebenso umgehen.Erlebt das Kind aber, dass seine Gefühle und Grenzen missachtet werden, wird es sich im Umgang mit anderen auch so verhalten.
Ebenso verhält es sich mit den Grenzen der Eltern selbst: Wenn das Kind erlebt, dass Eltern ihre eigenen Grenzen missachten oder nicht klar formulieren, so wird auch das Kind nicht lernen, seine Grenzen zu achten oder klar formulieren zu können.
“Erziehung ist Beispiel und Liebe - sonst nichts.”
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Friedrich Fröbel, Pädagoge und Erfinder des Kindergartens
Das Wichtigste in Kürze:
Mit rund 18 Monaten macht dein Kind einen wichtigen Entwicklungsschritt: Es kommt zur Selbstwahrnehmung, und mit der Selbstwahrnehmung geht die Abgrenzung von anderen Personen einher. Der stärker werdende Wille des Kleinkindes endet manchmal in einem Wutanfall, insbesondere dann, wenn die psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Bindung verletzt wurden.
Die Begleitung deines Kleinkindes während einem Wutanfall ist nicht einfach. Versuche ruhig zu bleiben, nehme dein Kind in den Arm und fühle dich in dein Kind ein. Benenne seine Gefühle und biete eventuell einen Kompromiss an. Erinnere dich daran, dass du ein wichtiges Vorbild für dein Kind bist. So wie du mit deinen Gefühlen und denen deines Kindes umgehst, so wird auch dein Kind lernen mit seinen Gefühlen und den Gefühlen anderer umzugehen.
Dein nächster Schritt:
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